Beitrag
von Shooter » 11. April 2007, 20:46
Wie lange dauert das akzeptieren?
Eine gute Frage. Ich denke mal, dies ist bei jedem verschieden. Ich kann nur mal von mir berichten.
Ich habe die Behinderung bei Michael sehr schnell akzepiert. Am Anfang, als die Ärzte noch von einer Epilepsie ausgegangen sind, hatte ich eigentlich überhaupt keine Probleme, da ich einen Epileptiker kannte, der ohne Probleme lebte. Hart wurde es, als und mittgeteilt wurde, dass Michaels Hirn abstirbt und es nichts gibt, was man dagegen machen kann. Es hiess damals, dass er in den nächsten 5 Minuten sterben kann oder vielleicht auch 2 jährig werden kann, was aber unwahrscheinlich ist. Dies hat mich und meine Frau dann doch sehr mitgenommen. Ich hatte danach auch eine schlaflose Nacht mit sehr vielen Gedanken. Warum ist er behindert, warum kann man nichts machen dagegen, obwohl die Medizin ja so weit sein soll, warum hat es uns getroffen, etc. Ich denke, jeder der sagt, dass er in einer solchen Situation keine solchen Gedanke hat ist nicht ehrlich. Aber am nächsten Morgen sah alles schon besser aus, viele im Kispi verstehen dies wohl bis heute nicht, ich ehrlich gesagt auch nicht ganz, wie ich das so schnell geschafft habe. Ich hätte mir dies nicht unbedingt zugetraut, aber es ist möglich.
Ich habe mir halt einfache Antworten auf meine Fragen gesucht, und natürlich auch viel mit meiner Frau und der Familie gesprochen, dies ist sicher das beste Mittel, das es gibt. Aber es ist bestimmt auch nicht bei allen möglich.
Warum haben wir ein behindertes Kind? Warum soll ich noch länger darüber nachdenken, ich denke auch nicht darüber nach, warum meine anderen zwei ausgerechnet gesund sind. Ich habe noch niemanden gehört, der gesagt hat, warum habe ich ein gesundes Kind. Dies ist ja schliesslich nicht selbstverständlich. Warum also fragen, warum ist mein Kind behindert, es ist halt so. Meiner Meinung nach ist dies sowieso die schlechteste Frage die es gibt, denn ich garantiere, dass ich, auch wenn ich noch 50 Jahre jeden Tag darüber nachdenke, sicher keine Antwort finden werde! Wenn ich aber die Zeit, die ich jetzt nicht mehr mit dieser unbeantwortbaren Frage verschwende mit Michael verbringe, ist sie sicher besser angelegt.
Sicher ist es auch hart, wenn man andere Kinder sieht, die jede Minute etwas dazulernen und das eigene kann es nicht, ich habe dies deutlich erlebt mit Michaels Zwillingsschwester. Sie konnte immer mehr und Michael hat sich noch zurückentwickelt. Am schlimmsten war dies als unser drittes Kind, Daniel geboren wurde. Die Hebamme legte ihn der Mutter auf die Brust, er hob den Kopf leicht an, schaute mich kurz an und dann die zukünftige "Futterkrippe", legte den Kopf wieder hin. Da sagte ich zu meiner Frau, "verrückt, er kann nach kaum einer Minute schon mehr als Michael je konnte oder können wird." Aber was solls, Daniel ist Daniel und Michael ist Michael. Ich habe mir letztens mal überlegt, wenn jetzt ein Wunder geschehen würde und Michael wäre von einer Sekunde auf die andere gesund und könnte alles, was seine Schwester schon kann, ich hätte bestimmt Mühe damit, es wäre nicht mehr mein Michael.
Auf die anderen Leute pfeiffe ich heute. Wie oft werden die Köpfe nach uns gedreht wenn wir spazieren gehen? Seit Michi den ganzen Tag sondiert werden muss ist es noch schlimmer, der Sondomat ist halt nicht zu übersehen. Da wird getuschelt etc. Soll ich mich darüber aufregen? Warum auch, ich habe bestimmt besseres zu tun mit meiner Zeit. Kürzlich waren wir mit den Kindern Schuhe kaufen, im Laden war noch eine Familie mit 2 Kindern so um die 10 Jahre. Eines hat mich plötzlich gefragt, warum denn der grosse Bub im Wagen sitzt. Ich habe geantwortet, dass er halt behindert sei und nicht laufen könne. Er nickte und ging wieder zur Rutschbahn im Geschäft. Dann habe ich seine Mutter angesehen, die wäre am liebsten im Boden versunken, das habe ich Ihr angesehen, gesagt hat sie aber nichts. Aber ich finde, das Kind hatte recht, es hat geschaut, hat gefragt, ich habe geantwortet für uns beide war es erledigt. Ich weiss nicht, warum sich seine Mutter geschämt hat, ist doch ehrlicher direkt zu fragen als hinter dem Rücken zu tuscheln.
So, nun bin ich wieder mal weit vom Thema abgeschweift. Die Frage lautete mal Wie lange dauert das Akzeptieren.
Bei einigen sehr lange, bei anderen gehts schnell. Es gibt keine richtige Antwort. Bei mir war es sehr schnell, denn bevor die Zwillinge zur Welt kamen hatte meine Frau eine Fehlgeburt. Diese hat mich sehr mitgenommen. Ich wäre daran fast zerbrochen, habe mir auch immer die gleichen Fragen gestellt. Ich war viel schlechter dran als meine Frau, und mich hat damals auch nie jemand gefragt, wie es mir geht. Alle fragten immer nach meiner Frau. Ich war damals bestimmt 3 Monate in einem tiefen schwarzen Loch, und auch dann kam ich nur sehr langsam daraus wieder hervor. Und dann ein Kind, dem es nicht gut geht, die ersten Anzeichen sind fast genau 4 Jahre her, und damals habe ich mir geschworen, dass ich mich nie mehr so tief runterziehen lasse, egal was kommen mag. Und ich habe mich bis heute daran gehalten.
Viele Fragen, wie kannst Du damit leben, dass Dein Kind jede Minute sterben kann? Was soll ich machen, es IST jetzt so, ich kann es nicht ändern, also geniesse ich jeden Tag, den Michael noch bei uns ist. Inzwischen sind es schon Jahre mehr als wir erhoffen durften, obwohl er erst 4 ist. Aber auch ich habe mich schon gefragt, muss das jetzt sein, immer wenn es Ihm schlecht geht, wenn er noch krank wird etc. Aber ich denke mal, solange es Ihm bei uns gefällt, wird er bei uns bleiben, und wenn es nicht mehr so ist, wird er gehen. Und wir hatten eine schöne Zeit zusammen, auch wenn er nichts kann. Wenn ich ihn halte, gibt mir Michael so viel.
Was kann ich Dir raten? Eigentlich nichts, aber versuch es einfach zu akzeptieren wie es ist, ändern kannst Du nichts. Das Leben geht trotzdem weiter. Ich kann Dir keinen konkreten Rat geben, aber ich wünsche Dir von Herzen, dass Du es schaffst, die Fragen los zu werden und das Leben wieder zu geniessen so wie es ist. Es ist ja nicht unbedingt ein schlechtes Leben, es ist halt einfach anders als das von anderen Leuten. Aber auch bei denen ist sicher nicht immer alles so einfach.