Lehrlinge mit Beeinträchtigungen eingestellt - wie richtig fördern?

Antworten
alexi
Beiträge: 4
Registriert: 29. Mai 2018, 14:21

Lehrlinge mit Beeinträchtigungen eingestellt - wie richtig fördern?

Beitrag von alexi » 17. September 2020, 11:41

Hallo!

Die ganze Situation war in den letzten Monaten sehr kritisch für Unternehmen sowie für Schulabgänger. Viele, gerade junge Leute, hatten es nicht leicht, einen Job oder gar eine Lehr- bzw. Ausbildungsstelle zu finden. Wir hatten im ersten Halbjahr auch kaum neue Mitarbeiter einstellen können und auch unsere Lehrlinge, die mitten in der Lehre waren, mussten in Kurzarbeit gehen.
Seit dem Sommer läuft es aber glücklicherweise wieder ganz gut, sodass wir uns entschiedenen hatten, ab September wieder Lehrlinge einzustellen. Unter all den neuen Lehrlingen (insg. 37) sind auch 4 Jungs und Mädels mit Beeinträchtigungen. Wir hatten mit solchen Personen bisher im beruflichen Umfeld nicht viel Erfahrung gemacht, da sich auch bisher nie welche beworben hatten. Die letzten Monate kamen aber wirklich sehr viele Bewerbungen von jungen Leuten, und da haben wir natürlich die ausgewählt, die am besten zu uns und in das ausgeschriebene Berufsfeld passen könnten.

Was aber mir in der HR-Abteilung aufgefallen ist in den ersten Wochen, dass viele der Lehrlinge schon sehr schüchtern und zurückhaltend sind. Ich denke, wenn sie das nicht bald ablegen, dass ihnen das im Berufsleben nicht sehr gut kommen würde. Es könnte sie an ihrer Persönlichkeitsentwicklung oder an der beruflichen Entwicklung hindern. Ein gesundes Selbstbewusstsein ist immer wichtig, aber gerade in den Lehrstellen, wie Verkauf oder HR sind solche Punkte ausschlaggebend für den Erfolg im Beruf. Gerade die Jungs und Mädels mit Beeinträchtigungen sind noch sehr zurückhaltend und scheinen sich nicht ganz öffnen zu können.

Hat jemand von euch evt. Tipps, wie wir unseren Lehrlingen helfen bzw. sie fördern könnten, damit sie offener und lockerer werden? :-)

Freue mich auf eure Antworten!
Zuletzt geändert von alexi am 22. September 2020, 14:23, insgesamt 1-mal geändert.
MareikeHausi
Beiträge: 3
Registriert: 24. Mai 2018, 12:02

Re: Lehrlinge mit Beeinträchtigungen eingestellt - wie richtig fördern?

Beitrag von MareikeHausi » 28. September 2020, 10:16

Grüß' dich! Erst einmal möchte ich anmerken, dass ich es toll finde, dass du dir in diesem Punkt Gedanken um deine Schützlinge machst. Viele junge Leute sind sehr schüchtern, vor allem in Lehrberufen. Das liegt vor allem daran, dass sie ja aus ihrem gewohnten Umfeld (Schule, Freunde, etc.) einfach "rausgerissen" werden und dann plötzlich zu arbeiten beginnen.
Das kann einen jungen Menschen schon ziemlich verunsichern. Viele fragen sich dann, ob es überhaupt die richtige Entscheidung war, eine Lehre zu beginnen, oder ob sie doch lieber die Schule hätten durchdrücken sollen.

Ich kann dich beruhigen: bei den meisten Lehrlingen fällt diese Mentalität in der Regel in den ersten paar Monaten von selbst ab. Sie leben sich ein und können dann auch besser kommunizieren. Bei ein paar Teenies wird dieses Problem jedoch bestehen bleiben, wenn man nichts dagegen tut. Was ihr als Firma für diese Kinder tun könntet, ist, ihnen eine Art Workshop anzubieten. (Anmerkung Moderation: Link entfernt -hatte nichts mit Jugendlichen mit oder ohne Beeinträchtigung zu tun- nur Werbung)
Das Gute daran ist, dass bei diesen Workshops kein Unterschied gemacht wird, ob ein Kind nun eine geistige oder körperliche Beeinträchtigung hat oder nicht.
Es geht einfach nur darum, dass den Jugendlichen Techniken vermittelt werden, wie sie aus sich selbst herausgehen können, wie sie ihre Zeiten richtig einteilen und ihre eigenen Stärken erkennen und nutzen können.

Wenn dir als Ausbilder bzw. Leiter der Firma etwas daran liegt, dass alle Kinder sich gleichbehandelt fühlen, sich weiterentwickeln können und später im Berufsleben Erfolge verzeichnen können, wäre so ein Workshop sicherlich eine gute Idee!
Benutzeravatar
orphan
Beiträge: 540
Registriert: 28. Juli 2008, 22:11

Re: Lehrlinge mit Beeinträchtigungen eingestellt - wie richtig fördern?

Beitrag von orphan » 28. September 2020, 19:29

Hallo

Mein Sohn, Asperger-Autist, hat ebenfalls im August eine Berufslehre begonnen. Durch seinen Autismus ist es sehr introvertiert was natürlich auch immer als "schüchtern" eingestuft wird. Das hindert allerdings weder ihn noch die Lehrfirma (zum Glück).
Es wird immer Menschen geben, die schüchterner sind als andere. Das ist doch teilweise auch "normal"?!? Und gerade Menschen mit Beeinträchtigungen sind oft schüchtern gerade weil sie eine Beeinträchtigung haben. Ich finde es schade, dass man dies als "negativ" ansieht oder deswegen das Gefühl hat, dass sie es in der Arbeitswelt nicht schaffen könnten.
Ich denke, dass Menschen mit Beeinträchtigungen mehr Zeit brauchen, um sich an eine neue Situation zu gewöhnen. Sie funktionieren oft einfach anders als wir! Aber dieses "anders" ist eine grosse Chance für uns andere Ansichten kennen zu lernen. Ich finde es unglaublich spannend von meinen Kindern zu lernen.
Zudem finde ich, dass man im Berufsleben nicht "offen" und "locker" sein muss. Da gibt es sehr viele andere Eigenschaften, die wohl viel mehr zählen im Beruf!
Benutzeravatar
Beatrice
Beiträge: 4347
Registriert: 3. Dezember 2005, 22:47
Wohnort: Gossau/SG
Kontaktdaten:

Re: Lehrlinge mit Beeinträchtigungen eingestellt - wie richtig fördern?

Beitrag von Beatrice » 1. Oktober 2020, 23:39

Hallo zusammen

Auch ich winde Alexi ein Kränzchen, dass junge Leute mit Beeinträchtigung eingestellt wurden und Du Dich um deren Wohl sorgst. Ich denke auch, dass sich mit dem Einleben in einen Betrieb, mit dem Entstehen mancher Freundschaften bzw. guter Beziehungen zu anderen Arbeitskollegen so manche Gehemmtheit oder Unsicherheit legen wird.
Irgendwo neu sein ist für viele Menschen nicht gerade das, wo sie sich augenblicklich wohl fühlen.

Ich selber habe mit meiner Beeinträchtigung (schwere Sehbehinderung) eine Lehre gemacht im Verkauf. Doch mein Arbeitgeber meinte es nicht so gut mit mir, wie er vorgab. Ohne mein Wissen, hat er mich bei der IV angemeldet und nach der Lehre, die ich mit 5.2 abschloss (wäre noch besser geworden, wenn er mich je an der Kasse geschult hätte) speiste er mich mit einem Lohn von 1200 Franken ab (Lehrabgänger bekamen normal damals zwischen 2400 bis 2600 Franken Lohn). Als ich mich wehrte, bekam ich die Antwort, den Rest, also nochmals 1200 Franken bezahle die IV. Das stimmte aber nicht, denn unsere IV bezahlt keine halben Löhne, sondern nur halbe Renten. Ich wusste es nicht, bis ich es wusste, war es zu spät. Nachher bekam ich auch immer zu hören, wenn man einmal in der IV ist, kommt man nicht mehr raus -und wenn man doch raus kommt, kommt man nie mehr rein - das ist alles Mist, aber so hat die HR in der als sozial bekannten Migros Genossenschaft bei mir anno 1989 argumentiert -und überall wurde ich schlecht gemacht. Man warf mir Schwankungen vor und anderes mehr.
Seltsamerweise bemerkten meine anderen Mitarbeiter nie was von Schwankungen, alle lobten meine Saubere Arbeitsweise, nur die Vorgesetzen fanden immer noch ein Haar in der Suppe.

Orphan, ist Dein Sohn via IV in den Betrieb gekommen oder ist er eigenständig unterwegs? Mit meiner negativen Erfahrung kann ich Dir nur raten, die IV so lange wie möglich aus dem Spiel zu lassen. Je länger er voll verdienen kann, umso besser fällt eines Tages, wenn es sein müsste, seine Rente aus. ich habe nie voll verdient und das ist mein grosses Verhängnis, das mir das ganze Arbeitsleben versauert. Heute ist es leicht anders, denn ich habe ja die Vollrente mit dem Erblinden des rechten Auges bekommen, aber die Vollrente ist tief, genau wegen diesem Umstand, dass ich seit Beginn des richtigen Arbeitslebens - nach der Lehre, nur die Hälfte verdient habe -und die halbe Rente dazu bekam (statt 2400 Franken nur 1834 brutto) - ich muss Dir nicht erzählen, um wieviele tausend Franken mich die nette Migros betrogen hat.

Als der Rentenbescheid kam, war ich total am Boden. Sämtliche Diskussionen nützten nichts, ich wurde nur belächelt und mit den Lügen abgespeist, dass man mir überall eine Rente bezahlen würde, wenn ich kündige und woanders hingehe. ich habe immer 100% gearbeitet, kein Kunde hat gemerkt, dass ich schwacher sein soll, als die anderen, Aber ich habe nie 100% verdient. Aktennotizen mit gegenteiligen Versprechen (mündlich) wurden vernichtet - es war eine ganz miese Erfahrung -und ich hoffe für alle, die heute neu mit einer Beeinträchtigung ins Arbeitsleben eintreten, dass sie auf Arbeitgeber treffen, die wirklich ein Herz und eine Hochachtung für die jungen Leute haben, die mit erschwerten Gegebenheiten eine Lehre machen und alltäglich ihr Bestes geben.
Die HR-Damen , ich konnte bei keiner was Humanes finden.

Ich habe über meine Wut damals, als der Rentenbescheid kam, ein Gedicht geschrieben. Es ist nicht das Stilreinste, aber es zeigt halt doch viel und es ist bitter, wenn man in so einem Betrieb gefangen ist, der einen gar nicht unterstützt und immer nur die Schwächen hervorhebt, statt die Stärken zu sehen, die es immer gibt - bei jedem -und ganz egal, was er oder sie hat.

Ich hab auf ihn gewartet über ein Jahr
seit einer Woche ist er da:
Ein Brief mit Informationen zu meinem Lohn
und zu der Rente, s'ist wahrlich ein Hohn.
Aus einem mickrigen Lohn berechnet ihr den Invaliditätsgrad
Ich hätt eine gescheitere Lösung für Euch parat
man berechnet aus einem Invaliditätsgrad die Lohnsumme
umgekehrt machens nur Dumme.
Doch leider glauben viele Leute
dem Leitspruch von der Migros heute
in allem sozial zu den Sozial Schwachen
mit den Pensionierten alljährlich einen Ausflug machen
Behinderte einstellen zu 100%
unter dem Deckmantel, der sich Barmherzigkeit nennt
und dann bloss die Hälfte zahlen, jedoch
noch trösten und LÜGEN, den Rest bezahlt die IV noch
Für all das zu danken, das ginge zu weit
Schämt Euch Eurer *Barmherzigkeit*!!!

B.P. 1991
(diese Schilderungen betreffen die M Ostschweiz, die Migros der Zentralschweiz ist offenbar wirklich humaner. Ich habe einen Cousin, der immer wieder Depressionen erleidet und in die Klinik muss. Trotzdem steht die dortige Migros hinter ihm, er bekommt keine Rente, sondern einen vollen, anständigen Lohn - so wie es sein sollte)

In diesem Sinne, nützt die Betroffenen nicht aus, behandelt sie so, wie Ihr es selbst wolltet, wenn ihr eine Beeinträchtigung hättet. Die Rente kann helfen, wenn sie fair ist, aber wenn es ohne geht, ist es immer besser

LG
Bea
Benutzeravatar
orphan
Beiträge: 540
Registriert: 28. Juli 2008, 22:11

Re: Lehrlinge mit Beeinträchtigungen eingestellt - wie richtig fördern?

Beitrag von orphan » 2. Oktober 2020, 16:54

@Bea - mein Sohn ist voll und ganz eigenständig unterwegs :wink:
Die IV unterstützt uns bzw. meinen Sohn nicht, weil wir die Diagnose zu spät erhalten haben. Autisten werden nur unterstützt, wenn sie vor dem 5. Lebensjahr bereits in Behandlung waren. Das waren wir aber nie! Ich habe gegenüber einem Arzt nie erwähnt, dass ich den Verdacht habe, dass er Autist sein könnte.
Er macht die Berufslehre mit Berufsmatura. Er fällt weder in der Schule noch in der Lehrfirma auf ... die Schule weiss nicht, dass er Autist ist. Der Lehrfirma haben wir es aber gesagt, damit wir Unterstützung haben, wenn es Probleme geben sollte!

Es tut mir leid, dass du so schlechte Erfahrungen machen musstest! Das ist wirklich nicht gerecht! Aber ganz ehrlich, wann ist das Leben schon gerecht?
Benutzeravatar
Beatrice
Beiträge: 4347
Registriert: 3. Dezember 2005, 22:47
Wohnort: Gossau/SG
Kontaktdaten:

Re: Lehrlinge mit Beeinträchtigungen eingestellt - wie richtig fördern?

Beitrag von Beatrice » 2. Oktober 2020, 20:47

Hoi Orphan

Das ist gut so -und wenn es der Lehrbetrieb gut mit ihm meint fördert man ihn, ohne ihm Steine in den Weg zu legen.
Wenn doch so ein Vorschlag kommen sollte mit Rente oder so würde ich mit den Erfahrungen von heute sehr hellhörig werden und rasch involvieren. Mit der IV macht man nur Abstriche. Auch jetzt, wo ich ja anderswo arbeite und gerade ein sehr gutes Zwischenzeugnis bekommen habe (kein Wort von Schwankungen oder anderen Hinderlichkeiten), die IV gibt vor, was ich verdienen darf - Lohnerhöhungen sind nur im Minimalbereich drin, obwohl ich viel mehr leiste als 25% mit 9einhalb Jahren Erfahrungen, bekomme ich weiterhin nur 25% Lohn, weil die IV das Valideneinkommen falsch errechnet hat.
Laut deren Berechnung könnte ich ohne Behinderung auch lediglich 2800 Franken verdienen, darum ist der jetzige Lohn von 1000 Franken brutto der Drittel, den ich verdienen darf mit der Vollrente. Du kannst es selber nachrechnen - meine Vollrente ist 1568 Franken - dazu kommen die 1052 Franken Bruttolohn, mit den ganzen Abzügen gibt es einen Betrag wenig über 900 Franken, dazu kommt die kleine HE für alle Sehbehinderten (mit einer grösseren Einschränkung) - macht genau diese Scheiss-Lohn-Zahl von 2800 Franken monatlich, die man mir ohne Behinderung als Valideneinkommen errechnet hat - auf Basis des Verkaufslohns im Detailhandel von anno 1995.
Heute ist der Bruttolohn für eine gelernte Verkäuferin jedoch CHF 3600 plus... . Es interessiert keinen, dass man mit so wenig Einkommen einmal grösste Schwierigkeiten haben wird, z.B. eine eigene Wohnung zu haben. Ich könne ja in ein Heim sagte mir anno 2011 schon eine IV-Persönlichkeit.
So nett, gell.

Wir haben damals bei der M den Fehler gemacht, dass wir noch glaubten, sie würden es irgendwann alleine einsehen, dass sie einen Fehler gemacht haben -und den dann gut machen und einen anständigen Lohn zahlen. Aber die dachten nicht daran. Irgendwann verjährt alles und man kann nicht mehr klagen. Auch die UNIA und der Beobachter haben sich an dem Fall eine Weile die Zähne ausgebissen, allen war klar, dass mir Unrecht getan worden war, aber man konnte es nicht mehr abwenden, da die Akten unvollständig waren - vor allem jene in der M.
Man kann auch nicht sagen, dass ich nicht gekämpft hätte- ich bin bis zum Höchsten der M damals ins Büro gekommen -zu John F. Leuenberger. Aber der belächelte und beleidigte mich nur, obwohl später in seiner Todesanzeige stand, er sei der grösste Menschenfreund gewesen, den es gäbe. Ich habe das anders erlebt.

Procap hat mich dann später auch enttäuscht, sie formulierten in der Klage ans Versicherungsgericht die Zusammenhänge total falsch. Es hatte keine Chance, wurde abgeschmettert, 2 mal. Damit hatte ich keine Rechtsgrundlage mehr für eine weitere Anfechtung des falsch errechneten Valideneinkommens.

Für Deinen Sohn sehe ich aber viel mehr Hoffnung, wenn er es mal brauchen sollte, denn Du kannst kämpfen, bist eine Löwenmutter durch und durch und würdest wohl das Gehör finden, das mir und meiner Familie verwehrt wurde.

Ganz herzliche Grüsse

Bea
Antworten