Pepes Botschaft oder das Geheimnis zum Glück, trotz allem

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Beatrice
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Pepes Botschaft oder das Geheimnis zum Glück, trotz allem

Beitrag von Beatrice » 17. August 2020, 12:09

Pepes Botschaft oder das Geheimnis zum Glück, trotz allem

Diesen Text habe ich als eine Art Trauerrede für einen lieben, kürzlich verstorbenen Freund aus Jugendtagen verfasst. Ich veröffentliche dies hier im Einverständnis mit der Trauerfamilie und vor allem darum, weil PEPES BOTSCHAFT in meinem Augen so viel Weisheit und Hilfe enthält, dass sie auch vielen Eltern hier evtl. einen neuen Denkansatz oder ein neues Selbstverständnis geben kann.
Auch ich selber möchte Pepes Botschaft im Leben nie mehr vergessen - und sie umsetzen, wenn ich in ein "neues Land" gekommen bin.


Pepe
Pepe hiess mit Nachnamen "Reis" "I gang uf d'Reis", so sagen die Schwaben und auch die Schweizer, wenn sie auf eine Reise gehen. Pepe wollte viele Reisen machen - danach, wenn er transplantiert worden ist mit gesundem Spendermark - gegen seine Leukämie, die ihm seit dem 11. Lebensjahr sein Leben erschwerte. Mit 17 fand er einen Spender und er konnte die lang ersehnte Knochenmarktransplantation machen lassen. Als man ihn fragte, was er machen möchte, nach der Transplantation, sagte er: ein Fussballtor schiessen, in die Schweiz in die Berge gehen und dann geh i auf d'Reis - eine Weltreise wollte er machen.

Trotz all seinem Optimismus und aller guten Gedanken und Gebete seiner Kirchgemeinde konnte Pepe seine Träume nach der an sich gelungenen Transplantation nicht leben. Er erlebte eine seltene, irreversible sogenannte GvHD - eine Abstossungsreaktion, welche die Gelenke betraf, nicht lebensbedrohlich, aber die Lebensqualität stark minimierend, denn der Bewegungsmensch Pepe musste fortan mit sich versteifenden Gelenken leben - und sicher auch mit Schmerzen, wobei er über letztere kaum klagte.
2 Jahre lang wehrte er sich gegen das neue Leben, wer mag ihm das übel nehmen. Nichts von seinen Träumen konnte er leben.
Eine weite Reise machte er dann doch noch - mit 18 Jahren - nach Amerika - in ein Camp für an Krebs erkrankte Jugendliche. Es ist mein persönliches Glück, dass ich ihm zu dieser Reise verhelfen durfte - dass man mich angehört hat bei der Organisation und ihn mitgenommen hat. Dort ist er an einem Seil über einen Fluss geschwebt wie Tarzan. Es war sein Abenteuer, von dem er noch lange erzählte und von dem er auch zehrte, fast bis am Schluss.

Nach dieser Reise kam aber zuerst das Trauern, dann nochmals Phasen der Rebellion gegen ein Leben mit steifen Gelenken. Er hatte im Camp Jugendliche getroffen, denen es sehr gut ging nach einer ebensolchen Knochenmarktransplantation.
Statt wie geplant in einem Architekturbüro zu arbeiten kam er in eine Werkstätte für körperlich behinderte Menschen. Statt mit seinen Händen Gebäude zu entwerfen, steuerte er mit dem Mund eine Schreibmaschine. Statt in die Schweizer Berge zu fahren, blieb er auf der schwäbischen Alb. Statt ein Fussballtor zu schiessen, schaute er im Rollstuhl an vorderster Position manche Spiele des VFB Stuttgart. So richtig glücklich war er damals nicht.

Wir hielten den Kontakt über all diese Zeit aufrecht. Mein Glück, dass ich ihn damals nicht im Stich liess, wo er manchmal wirklich schwierig zu ertragen war - jeder muss durch so eine Phase durch, sagte er später - nur so kann man reifen.

Die Reifung, ich kann gar nicht genau sagen, wann sie kam - es vollzog sich völlig unspektakulär. Pepe wurde ruhiger, gelassener, geduldiger, schimpfte weniger, hatte weniger depressive, durchaus nachvollziehbare Phasen.
Wir telefonierten alle 1-2 Monate, so wie schon immer. Er wirkte einfach zufrieden.

Eines Tages, als er an ein Treffen in Basel kam, chauffiert von einem Betreuer der Wohngruppe, wo Pepe schon länger einen Platz im Betreuten Wohnen hatte, fragte ich ihn, wie er es geschafft hat, vom Hadern mit seinem Schicksal so weg zu kommen, dass er heute, bzw. damals mit ca. 45 Jahren so positiv auf sein doch so besonderes Leben schauen kann.

Und da verriet mir Pepe sein Geheimnis zum Glück, trotz allem. Dieses Gespräch und die darin enthaltene Botschaft, die ich nie mehr vergessen möchte. Die ich hervorholen möchte, wenn es mit meinem Augenlicht bachab geht, wenn sonst ein unabdingbares Schicksal in mein Leben tritt.

Ich fragte ihn also, wie er es so akzeptieren kann und so zufrieden wirkt trotz dem Umstand, dass er all seine Träume nach der Transplantation nicht leben konnte, weil die steifen Gelenke keine Bewegung zulassen.
"Es ist ähnlich, wie wenn Du in einem neuen Land unterwegs bist"- sagte Pepe, "da begibst Du dich auf die Suche nach den Schönheiten dieses Landes, nicht wahr? Du verharrst nicht an Orten, die Du Scheisse findest, du setzt dich nicht in den Dreck und jammerst, sondern du suchst Dir schöne Orte. Jedes Land hat schöne Orte.
Sobald sich etwas im vertrauten Umfeld unverhofft und für immer ändert, bist Du wie in einem neuen Land. Erst stehst Du da wie versteinert, kannst den neuen Zustand nicht fassen, willst es auch nicht. Du hoffst zu erwachen, wieder im alten, Dir vertrauten Land. Irgendwann weisst Du, ich kann nicht zurück, ich muss im neuen Land weitergehen.
Irgendwann wagst Du erste Schritte, vermisst noch immer im jedem das vertraute Gefühl, leidest und bist traurig. Das ist normal, wir Menschen sind eh Gewohnheitstiere"

Pepe sagte weiter: "Irgendwann realisierst Du, Du bist nun in einem neuen Land mit neuen Gegebenheiten und Regeln. In einem Land, wo niemand Fussball spielt, niemand in die Berge geht, weil es das nicht gibt. Irgendwie haben wir fast alle doch auch Träume, irgendwohin zu reisen, wo wir noch nie waren. Du bist nun auf so eine Reise geschickt worden, ohne dass Du das vielleicht wolltest. Aber er, sagte Pepe, habe das irgendwann angenommen und sich so verhalten, wie man sich benimmt im neuen Land. Er ging das Schöne in diesem Land erkunden bzw. suchen, das, was gut ist, was wohl tut, was Kraft gibt, was einen Entdeckungswert hat. Und erlebte so manche schöne Überraschung.
Hin und wieder hatte er traurige Momente, wo er sich doch wieder fragte, warum darf ich nicht gesund sein, aber immer öfter gelang es ihm vom Hadern weg -hinein ins Erkunden des neuen Landes zu kommen, von dem was ist. In seinem Fall eine mittlerweile vollkommene Gelenksteife vom Hals abwärts - kein Zustand für grosse Abenteuer. Mehrheitlich bereiste er sich selbst, sein beschränktes Leben, die Interaktionen mit Menschen, die ihn betreuten und den paar Freunden, die ihm geblieben waren. 31 Jahre lang so leben und seit den Anfangsphasen nie mehr so bitter verhärmt zu sein, nicht hart gegenüber denen, die mehr Glück hatten - einfach ein lieber Freund zu bleiben. Es ist unendlich stark, wie Pepe das gemacht hat!

Nun ist Pepe gegangen, mit 48 Jahren. Es kam ein neues Leiden noch dazu, eines, das ihn nochmals in ein neues Land entführt hätte, in ein sehr schwer erträgliches Land, vielleicht das erste, in dem es nur noch wenig Freude gibt. Pepe hatte nicht mehr die Kraft, dieses neue Land so positiv zu sehen, wie sein vorheriges, zumal das Leiden nun tödlich und qualvoll geworden wäre. Er hat sich helfen lassen und ist geflogen, nochmals in ein anderes Land, das hinter den Sternen liegen mag oder wo auch immer.

Pepes Botschaft behält für mich seine Kraft - so oder so. Ein Schicksal annehmen können, ein verändertes, ganz anders als erträumtes Leben so annehmen können, als sei es eine Reise durch ein neues Land. Offen sein für das Schöne darin, das Gute suchen und erkunden gehen und Vertrauen finden, dass es gut kommen wird. Jeden Tag neu, das Beste aus diesem Dasein im neuen Land machen - oder es versuchen.

Ich werde daran denken, wenn sich bei mir unveränderbare Gesundheitseinbussen einstellen oder sonst etwas an mich prallt, was ich nicht abschütteln kann.
Pepe bleibt mein lieber Freund -nun ganz fest im Herzen - und er bleibt ein Mensch, der mein Leben positiv geprägt hat, der schon dadurch unvergesslich bleibt.

Vielleicht vermag Pepes Botschaft vom Erkunden eines neuen Landes auch Eltern etwas zu geben, die ein Kind gross ziehen, das anders ist, als sie es sich erhofft haben. Das ihre Träume von einer unbeschwerten Zukunft durchkreuzt. Von einem Kind mit Behinderung, die viele Sorgen bringt. Oder Eheleuten, die mit einer nicht heilbaren Krankheit des Partners/der Partnerin konfrontiert sind. Gestattet Euch zu trauern so wie Pepe, dem Schicksal zu zürnen in der Anfangszeit - wie Pepe es sagte, das ist nötig um zu reifen.
Allen betroffenen Menschen wünsche ich, dass sie im neuen Land schneller als vielleicht erwartet gute Seiten, schöne Dinge finden, die den Weiterweg erleichtern und einfach Mut und Freude schenken.

In diesem Sinne und im Sinne von meinem Freund Pepe -

Bea Pfister, 4. August 2020
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