Berufsfindung von Menschen mit Handicap

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Beatrice
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Berufsfindung von Menschen mit Handicap

Beitrag von Beatrice » 28. Mai 2022, 16:05

Hoi zäme

Kennt Ihr gute Adressen oder Arbeitgeber, die Eurem Jugendlichen mit Behinderung eine Ausbildungschance gaben?
Habt Ihr ermutigende Berichte oder auch weniger Erfreuliches, das andere evtl. wissen sollten, damit sie nicht in die gleiche Falle tappen.
Kennt Ihr Werkstädten, wo es Eurem besonderen Jugendlichen wohl ist?

Ich selber habe in diesem Bereich einige Erfahrungen, die ich teils andernorts auch schon beschrieben habe.

Integration wird mehr und mehr ein Thema, daher denke ich, publiziere ich hier mal die Adressen, die ich dazu so kenne - auf einen Blick
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Beatrice
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Re: Berufsfindung von Menschen mit Handicap

Beitrag von Beatrice » 28. Mai 2022, 16:11

Stiftung La Capriola - Berufsausblildung im Hotel für junge Menschen mit Handicap

Aus einem Bericht im Procap-Magazin 3/2013 von Susi Mauderli

Jungen Menschen mit Handicap eine Ausbildung im Gastgewerbe ermöglichen und sie im ersten Arbeitsmarkt integrieren. Dafür setzt sich die Stiftung La Capriola ein. Zum Beispiel für Jolanda Steiner, im dritten Lehrjahr als Hotelfachfrau EFZ.

Gut gelaunt kommt Jolanda Steiner auf uns zu. Im Hotel ist Hochsaison, Gäste aus aller Welt gehen ein und aus. Viel Betrieb, das mag sie. Aufgewachsen im Kanton Luzern, besuchte Jolanda die üblichen Schulen. Weil sie seit Geburt eine starke Sehbehinderung hat, war zwar der Aufwand für sie grösser als bei anderen Kindern, doch unlösbare Probleme gab es nicht. Schwierig wurde es für sie bei der Lehrstellensuche. «Ich erhielt Absage um Absage, immer mit derselben Begründung - meine Augen.» Schliesslich wandte sie sich an die Stiftung La Capriola. Diese arbeitet unter anderem mit dem Hotel Schweizerhof in Luzern zusammen; dort konnte Jolanda schliesslich vor gut zwei Jahren ihre Lehre beginnen.
Vielseitiger Beruf
Für die junge Frau ist es wichtig, Kontakt mit Menschen zu haben. Sowohl die Zusammenarbeit im Team als auch den Kontakt mit den Gästen schätzt sie sehr. Meistens ist ihr Handicap dabei kein Thema, und sie mag es eigentlich nicht, wenn sie darauf angesprochen wird. «Aber wenn es einem Gast auffällt und er danach fragt, gehe ich schon darauf ein», ergänzt sie lächelnd. An ihrem zukünftigen Beruf gefällt Jolanda die Vielseitigkeit. In der 3-jährigen Ausbildung zur Hotelfachfrau EFZ wird sie in allen Bereichen des Hotels eingesetzt: Hauswirtschaft, Küche, Reception und Service gehören dazu. Entsprechend gross sind denn auch ihre zukünftigen Einsatzmöglichkeiten.
Grosse Nachfrage
Die Stiftung La Capriola wurde vor 10 Jahren gegründet. Seither konnten 43 Jugendliche mit einer Sinnes-oder einer leichten geistigen Behinderung eine Ausbildung im Gastgewerbe abschliessen und anschliessend in einen Betrieb im ersten Arbeitsmarkt integriert werden. Ihre Ausbildung absolvieren die Jugendlichen in renommierten Partnerbetrieben in Davos und seit 2011 auch in Luzern. «Wir möchten gerne ausbauen», erzählt uns Muriel Tobler, Leiterin des Ausbildungszentrums Luzern, «denn die Nachfrage ist gross, das Konzept erfolgreich.» Die Berufsbildner von La Capriola begleiten die Lernenden und stehen den Betrieben jederzeit beratend zur Seite. Dies sei eine grosse Motivation, Jugendliche mit einem Handicap einzustellen, sagt denn auch die Personalleiterin des Hotels Schweizerhof. In der Freizeit werden die jungen Leute ebenfalls unterstützt: La Capriola unterhält begleitete Wohngemeinschaften, in denen die Lernenden zusammen wohnen, lernen, den Haushalt führen und individuelle sozialpädagogische Förderung erhalten, wo sie es brauchen: Schule, Hausaufgaben, Sozialkompetenzen, persönliche Schwierigkeiten etc. Auch werden sie beispielsweise dafür sensibilisiert, sich gesund zu ernähren. Gemeinsames Kochen und Essen wird angestrebt, und Gemüse und Salat sind plötzlich wichtiger Bestandteil des Speiseplans.
Ab ins Welschland
Nach Beendigung der Lehre können die jungen Berufsleute weiter auf die Unterstützung von La Capriola zählen. «Wir helfen bei Bewerbungen, coachen für Vorstellungsgespräche und motivieren Betriebe, Lehrabgänger mit Handicap einzustellen», so Muriel Tobler, Jolanda Steiner wird im nächsten Sommer ihre Lehre abschliessen und hat bereits konkrete Pläne: «Ich möchte eine Zeitlang in einem Hotel in der Romandie tätig sein.» #


https://www.lacapriola.ch/
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Die Stiftung VIVENDRA

Zum Angebot der Stiftung VIVENDRA siehe bitte:
https://www.vivendra.ch/bei-uns-arbeiten.html


Lehrstellenaktion: Kampagne jobBOOSTER.

Es ist noch ein weiter Weg zu gehen, bis zur beruflichen und gesellschaftlichen Integration von Menschen mit Behinderung. Das Projekt die CHARTA versucht dabei seinen Teil beizutragen - wie beispielsweise mit der Kampagne jobBOOSTER. Ein zwar kleiner, jedoch wichtiger erster Schritt.

Unlängst konnte die CHARTA mit ihrer jobBOOSTER-Lehrstellenaktion einen ersten Erfolg verzeichnen. 2 Jugendliche mit Behinderung, einer aus dem Kanton AG und einer aus Basel) treten nach den Sommerferien ihre Lehrstellen im ersten Arbeitsmarkt an!

Die CHARTA wird die Lehrstellenaktion jobBOOSTER auch im Jahr 2013 wieder durchführen. Das Ziel der Kampagne ist es, den Jugendlichen mit Behinderung Gehör zu verschaffen und ein Bewerbungsgespräch zu vermitteln, welches im besten Fall zu einer Lehrstelle führt. Die Kampagne ist gleichzeitig ein wichtiges Instrument zu Sensibilisierung der Arbeitgeber für das Thema Arbeit für Menschen mit Behinderung.

jobBOOSTER arbeitet ausschliesslich mit Institutionen zusammen, welche die Jugendlichen für die Kampagne anmelden (IV-Stellen, Schulen, Jobcoachs etc.). Wir fordern, dass die Jugendlichen auf eine finanzielle und/oder fachliche Unterstützung von Fachpersonen zurückgreifen können und nehmen daher keine direkten Anmeldungen von Jugendlichen entgegen.

Die Kampagne richtet sich an alle Jugendlichen der deutschsprachigen Schweiz. Bei Interesse können sich deren Schulen, IV-Berater oder Jobcoaches bei der CHARTA melden.

Mehr dazu siehe:
https://www.impulse.swiss/unternehmen


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Hoi zäme

Als ich vor einigen Tagen das Angebot von jobBOOSTER ganz zufällig im Internet gefunden habe, war ich echt begeistert, dass es sowas gibt. Im Grunde bin ich immer noch begeistert. Da ich aber eigene Erfahrungen mit einem der Partner von jobBOOSTER habe (dem Grossverteiler mit dem orangen M), Erfahrungen, die ich heute keinem Jugendlichen mit Behinderung mehr wünsche, daher habe ich an den Projektleiter eine Mail geschrieben und diese Erfahrungen geschildert. Er antwortete mir auch und schrieb, dass sie immer wieder solche Erfahrungsberichte erhalten, wo die Integration nur auf halben Weg gelungen ist. Ich bin also kein Einzelfall.
jobBOOSTER versucht aber, solche Risiken möglichst gering zu halten.

Daher denke ich, der Erfahrungsbericht ist auch hier nicht fehl am Platz und hilft evtl. einigen Familien, gewissen Dingen vorzubeugen oder es im Vorfeld abzuklären. Wir haben das leider unterlassen, bzw. der Migros einfach geglaubt - weil sie ja einen ach so guten Ruf in Sachen Soziales geniesst ---- (heute weiss ich es besser)
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Sehr geehrte Projektleitung der CHARTA

Als erstes möchte ich Ihnen gratulieren zum gelungenen Projektstart, bei welchem 2 Jugendliche, die mit einer Einschränkung leben, eine Lehrstelle gefunden habe und vom Abstellgleis weg gekommen sind. Sehr gerne möchte ich dieses Projekt auch bei uns im Elternforum vorstellen.

Auch ich bin als junger Mensch mit Einschränkungen aufgewachsen - mit hochgradiger Sehbehinderung. Und einer Hemiparese, die sich aber mittels Therapie im frühen Kindesalter weitestgehend beheben liess. Als ich gesehen habe, dass die MIGROS in Ihren Partnern auch drin ist, kam bei mir zum positiven Gefühl Ihrem Projekt gegenüber leider auch ein sehr zwiespältiges.
Die MIGROS ist in der Bevölkerung als sehr sozialer Arbeitgeber bekannt, dies vor allem auch in der Hinsicht, wie sie ihre Pensionierten behandelt (Vorzüglich)
Was aber in meinem Fall passiert ist, das wünsche ich keinem der heute motivierten Lehrlinge, die alles geben um einen sauberen Lehrabschluss zu machen, immer in der Hoffnung, dann auch ein gleichwertiges Mitglied im Job zu werden.
Als ich im Jahr 1988 die Lehrstelle in der MIGROS Ostschweiz bekam, galt dies als Umschulung, da ich im Wunschberuf zur Geriatrischen Pflegerin leider wegen meiner Augenproblematik gescheitert war. Die IV zahlte also Taggeld aus, das waren zu jener Zeit 1200 Franken. Ende der Lehre, die ich mit einer Note von 5,1 abgeschlossen hatte, bat mich mein Chef ins Büro und sagte, ich sei mit dieser Note zwar etwas höher als der Durchschnitt qualifiziert, hätte aber aufgrund der Augen eine Leistungsminderung und daher würde er mir einfach den selben Lohn zahlen nach der Lehre wie allen andern auch (2400 Franken). Ich erklärte mich einverstanden. Schlussendlich aber zahlte mir die MIGROS nach der Lehre nur 1200 Franken aus - die meinten, das Taggeld sei eine Rente und bliebe bestehen. Auch als wir darüber aufklärten, dass das Taggeld mit Abschluss der Lehre nicht weitergezahlt würde, blieben sie plötzlich der Meinung, ich sei nur halb so gut wie alle andern und sie meldeten mich bei der IV für eine Rente an!!!
Dies war in den 1990-er Jahren leider sehr einfach. Ohne weitere Prüfung, trotz Arztberichten, die mir keine relevante Einschränkung im Beruf bescheinigten, wurde mir rückwirkend auf den Lehrabschluss eine halbe Rente bewilligt. Die halbe Rente war aber nicht der halbe Lohn, sondern genau 534 Franken. Ich arbeitete stets 100%, bekam aber nie den vollen Lohn wie alle anderen. Das ist keine anständige Integration und es kam noch dicker. Weil ich bereits als Invalide in der MiGROS begonnen hatte, wurde mir auf mein Geburtsgebrechen von der Pensionskasse ein Vorbehehalt angelastet. Sämtliche Arbeitsausfälle, die wegen der Augen erfolgten, waren somit nicht gedeckt. Bei der IV bekam ich die mindeste Grundrente und das bleibt so - mein Leben lang. Dass ich 15einhalb Jahre 100% in der Migros arbeitete, ändert daran nichts.
Weil ich wegen der Verschlimmerung meines Augenproblems (Netzhautablösung) schlussendlich aus der Migros austreten musste, bekomme ich nun auch keine Pensionskassenrente.

Sozial sieht für mich anders aus. Ich habe nur 2. gemacht auf der ganzen Linie. Habe alles gegeben, und viel zu wenig dafür bekommen. Die MIGROS Ostschweiz ist bekannt für ihre nicht zimperliche Umgangsweise mit eingeschränkten Mitarbeitern. Ich weiss einen Fall aus der MIGROS Zentralschweiz, wo es ganz anders ist (menschlicher und wirklich sozial)
Wie es in Basel ist, weiss ich leider nicht.

Was ich damit einfach sagen will, mit dem Angebot einer Lehrstelle ist es nicht getan, dass Integration wirklich geschieht. Es ist ein erster guter Schritt.

Evtl. verhilft Ihnen mein Erfahrungsbericht zu neuen Einblicken in die teils harte und sehr kalkulierte Realität der Grossverteiler. Statt auf meine Stärken zu setzen, die in grossem Masse da waren, hat man mir stets die Schwächen vorgehalten. Und wenn es mir nicht passe, solle ich halt gehen.

In einem Laden, der noch nie eine Frischmetzgerei hatte, wurde mir auch noch vorgehalten, ich könnte nicht an einer Frischmetzgerei arbeiten und dafür gab es nochmals Lohnabzug.

Ich wünsche all den Lehrlingen viel Glück und wirklich, (nicht nur auf dem Papier), soziale, freundliche Vorgesetzte, die das Wort "Integration" in allen Teilen ernst nehmen.


Freundliche Grüsse

Bea Pfister
(von Okt. 2006 bis April 2008 Schülerin in der SehBehindertenHilfe-Basel)
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